Röm.-kath. Pfarrei Hl. Mutter Teresa Chemnitz
Gemeinde St. Antonius
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Kreuz
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Der konservative Reformer
 
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Konklave. Stellen Sie sich vor, sie wären ein wahlberechtigter Kardinal und sie haben nichts Geringeres zu tun, als einen neuen Papst zu wählen. Da man auf dem Konklave 1903 noch viele politische Rücksichten zu nehmen hatte, befinden Sie sich in einem schwierigen Konklave im 7. Wahlgang. Endlich konnten sich zwei Kandidaten herauskristallisieren, zwischen denen die Entscheidung fallen würde. Also, Sie sind Kardinal und haben einen leeren Zettel vor sich, auf den Sie den Namen eines der beiden Kandidaten schreiben müssen.

Kandidat 1 ist sehr religiös. Sein Papsttum wird also nicht nur politisches Taktieren sein, sondern er wird die Frohe Botschaft, das Evangelium als Maßstab seines Papsttums verteidigen. Außerdem ist er einen langen priesterlichen Weg gegangen. Im Gegensatz zu anderen Päpsten hat er alle Stationen eines Priesters durchlaufen und kennengelernt (Kaplan, Landpfarrer, Domherr, Generalvikar, Bischof, Kardinal). Er ist ein guter Seelsorger. Die Menschen liegen ihm am Herzen. Er ist gütig, liebevoll und äußerst bescheiden. Päpstliche Zeremonien sind ihm fremd. Er geht lieber als einfacher Seelsorger auf die Menschen zu und verkündet Christus. Gleichzeitig traut man diesem Mann zu, wichtige kirchliche Reformen voranzutreiben, ja, sogar zu einem der größten Reformpäpste zu werden.

Ganz anders ist Kandidat 2: Er ist streng, unerbittlich, also ein Bewahrer. Mit neuen, progressiven Strömungen in der Kirche kann Kandidat 2 nichts anfangen, ja er bekämpft sie: rigoros und ohne Kompromisse. Auch die Diplomatie ist seine Sache nicht. So ist es sehr wahrscheinlich, dass der Kandidat bei politischen Konflikten nicht ausgleichend „diplomatisch“ reagieren, sondern Öl ins Feuer gießen wird. Es könnten dramatische Beziehungen zu den Staaten folgen, die auch seiner kompromisslosen Prinzipientreue zu schulden sind. Die Priester könnten es unter diesem Papstkandidaten nicht leicht haben, würde er doch von ihnen fordern: allen modernen Strömungen zu widerstehen und darauf einen Eid zu leisten. Und er würde seine Priester daraufhin kontrollieren, um sicher zu stellen, dass die Kleriker bei Androhung von Strafen diesem Eid ihre Treue halten.

So, nun kennen Sie die beiden Kandidaten. Wen würden Sie wählen. Wer könnte ein guter Papst werden: der freundliche, liebenswürdige Reformer oder der strenge, unnachgiebige Bewahrer. Keine Angst, niemand wird Ihre Entscheidung erfahren, denn Papstwahlen sind geheim.

„Habemus papam!“ Wie Sie sich auch entschieden haben, Sie haben gut gewählt! Sie haben einen Heiligen gewählt, also jemandem zum Papst gemacht, der als ein großer und wichtiger Pontifex in die Geschichte eingehen und später heilig gesprochen wird. Herzlichen Glückwunsch! Egal, wie Sie sich zwischen den beiden Kandidaten entschieden haben, sie haben Giuseppe Sarto (von 1903 bis 1914 Papst Pius X.) zum Papst gemacht.

Seinen Namen Pius wählte er mit Bedacht und wurde ihm treu. Pius-Päpste wandten sich in der Vergangenheit immer gegen Zeitirrtümer. Das wollte auch er: aus einer tiefen Frömmigkeit heraus, aber mit entschiedenen Positionen. Der sogenannte „Antimodernismuseid“, den alle Priester ablegen mussten, ist dafür ein Beispiel. Pius X. misstraute allen progressiven Strömungen und allen Neuerern. Mit Vertretern dieser Richtung war er nicht zimperlich. Strafmaßnahmen konnten bis zur Exkommunikation reichen. Mit der Säkularisierung in Frankreich ging er hart ins Gericht, so hart und polternd, dass er für nachhaltige Verstimmungen sorgte.

Trotz seiner harten Linie gegen das Eindringen modernistischer Gedanken in die Kirche, gegen den Versuch den Katholizismus mit der modernen Kultur in Einklang zu bringen, war Pius X. ein großer Reformpapst. Er empfahl allen Menschen, so oft, wie möglich die Heilige Kommunion zu empfangen, was damals schon etwas Neues war. Pius X. reformierte die Kurie, die Diözesanseminare und die Kirchenmusik. Er empfahl den Kirchenchören auf Kastraten zu verzichten. Als Förderer der „Katholischen Aktion“ gab er den katholischen Laien kirchenrechtlich eine bessere Stellung. Schon vor 100 Jahren (!) erkannte Pius X., dass der Klerus perspektivisch nicht mehr stark genug sein würde, um das Apostolat allein zu tragen.

War Pius X. ein personifizierter Widerspruch im Papstamt? Vielleicht geht es nicht um das Wie, sondern um das Warum. WARUM handelte der eigentlich zugängliche Seelsorger-Papst in manchen Punkten so unerbittlich streng. Annähern können wir uns diesem Phänomen nur, wenn wir ihn im Kontext seiner Zeit sehen. Hier trifft ein tiefgläubiger Mensch auf eine Zeit, in der die Wissenschaft Erkenntnisse beweisen kann, die einen Gott, ein göttliches Wirken zumindest in die Ecke drängen. Frankeich säkularisiert sich und beschneidet Rechte der Kirche. Wie soll ein so frommer Mensch darauf reagieren, wenn durch die Strömungen der Zeit „seinem“ Jesus Christus etwas von der Ehre weggenommen wird, die er verdient?

Und heute gut 100 Jahre später? Frankreich (und viele andere Länder) ist immer noch ein säkularer Staat, die Wissenschaft konnte Gott nicht wegdrängen, der Antiodernismuseid, den jeder Priesterkandidat vor seiner Weihe ablegen musste, wurde 1967 durch ein Glaubensbekenntnis ersetzt. Kastraten spielen in der Musik keine Rolle mehr, was viele Jungen mit einer kräftigen Stimme vor einem unmenschlichen Schicksal bewahrt. Die Reform der Diözesanseminare sorgte für gut ausgebildete Priester, die Kurienreform für bessere Strukturen und die Laienbewegung wurde (auch gestärkt durch das 2. Vatikanische Konzil gut 50 Jahre später) zu einer wichtigen Säule kirchlichen Lebens.

Pius X. Warum steht er als Heiliger in den Altarräumen der Kirchen, so auch bei uns? Was kann er uns heute noch sagen?

Für mich persönlich fasst er in seinem Leben/in seiner Figur die beiden gegensätzlichen Strömungen der heutigen Kirche zusammen: die Konservative (z. Bsp. Opus Dei) und die Liberale, die nach Reformen suchende (z. Bsp: „Wir sind Kirche“). Beide Strömungen dürfen sein und haben einen Platz in der Kirche. So, wie Pius X. diesen scheinbaren Widerspruch lebte und mit seinen Gegensätzen heiliggesprochen wurde, so soll auch die Kirche damit leben, die (laut Glaubensbekenntnis) „die EINE heilige katholische und apostolische Kirche“ ist.

Wichtig ist es nicht, über die verschiedenen Strömungen zu streiten, sondern nach dem WARUM zu fragen. WARUM war Pius streng und gütig? WARUM denken manche Christen konservativ, andere liberal? Den einen ist die Kirche wertvoll als ein Schatz der so wie er ist, bewahrt werden muss, die anderen haben Angst, dass „ihre“ Kirche (die ihnen auch ein Schatz ist) vom Zeitgeist weggefegt wird, wenn sie sich nicht ändert. Für beide Seiten gibt es gute Argumente. Doch statt (wie leider immer wieder beobachtet) aufeinander loszugehen und seine Position wie eine Fahne aufs „innerkirchliche Schlachtfeld“ zu führen, sollte man zuhören und nach dem WARUM fragen. WARUM denken und handeln die Vertreter der innerkirchlichen Strömungen so? Sicher werden sie sich irgendwann auf Jesus Christus berufen und „erneuern“ wollen: die einen den Glauben in ihrer Kirche, die anderen die Kirche selbst. Die einen berufen sich auf Jesu Gehorsam seinem Vater (Gott) gegenüber, die anderen auf sein radikales, den damaligen Juden viel zu weit gehendes Leben. „Alles in Christus erneuern!“

„Alles in Christus erneuern!“, das war der Wahlspruch von Pius X., der sein 11jähriges Pontifikat begleitet hat. In Pius treffen sich die beiden Strömungen in der katholischen Kirche und bemerken, dass es nur „EINE heilige katholische Kirche“ gibt, die auch mit (scheinbaren) Widersprüchen EINE Kirche bleibt. Wenn nun die sogenannten Reform-Katholiken und Konservativen vor Pius stehen, kann der Papst ihnen etwas ins Stammbuch schreiben: „seid fromm in Christus und empfangt seine unendliche Liebe durch den häufigen Empfang seines Leibes (der Kommunion)! Und gebt diese Liebe weiter!"

Widersprüche, in Pius X. sind sie vereint.

Text und Foto: Henning Leisterer